Page 62 - Wehrtechnik 01/2017
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Dennis-P. Merklinghaus Ende letzten Jahres wurde bekanntgegeben,
dass Moskau und Peking eine gemeinsame
Schutzschirm oder koordinierte Antwort auf den Aufbau einer
US-Raketenabwehr in Asien geben wollen.
(Photo: AI)
punktueller Schutz?
Aktuelle Projekte im
Bereich Luftverteidigung
Die enorme Entwicklung von heutiger Spitzentechnologie und die Spatenstich für den Bau einer weiteren Station (AEGIS Ashore Phase III) im
digitalisierte Perfektionierung der Wehrtechnik, aber auch die zunehmen- polnischen Redzikowo. Mit der Phase III sind alle notwendigen Fähigkeiten
de Bedrohung durch radikale Institutionen (staatlich und nicht-staatlich) zur Verfügung gestellt, um einen ballistischen Schirm für alle NATO-Länder
mit Zugang zu Massenvernichtungswaffen, lassen die Nachfrage nach zu schaffen. Die Gesamtkosten (einschließlich einer Weiterentwicklung des
Flugabwehr-, Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystemen steigen. „NATO Active Layered Theater Ballistic Missile Defense“ [ALTBMD]) wer-
den auf mehr als € 3 Mrd. geschätzt, derzeit noch finanziert durch die USA.
Es ist mittlerweile denkbar, dass die unbeabsichtigte Auslösung eines Obwohl Russland sich dadurch direkt angegriffen fühlt, schwört, bzw. be-
kriegsähnlichen Konfliktes über eine nicht mehr aufhaltbare Eskalation zu tont man von Seiten der NATO, dass EPAA sich nicht gegen Russland
einem Krieg globalen Ausmaßes führen könnte. richtet und auch keine Gefahr für dessen Fähigkeit zu einem nuklearen
Wie schon erwähnt ist deshalb ein umfassender Schutz erwünscht und Vergeltungsschlag darstellt. Das strategische Konzept der NATO 2010 be-
notwendig. Ein Schutz vor sogenannten Schurkenstaaten, wie z.B. Iran deutet, dass die Luftverteidigung eine zentrale Allianzmission ohne Bezug
und Nordkorea. Hier provozieren immer wieder das Mullah-Regime und auf bestimmte Länder oder Bedrohungen sei, „sondern gegen bestimmte
der Oberste Führer von Partei und Volk mit Raketentests, die „eigentlich Bedrohungsszenarien allgemein,“ laut NATO Quellen (Moskau hat hierzu
lediglich der Verteidigung der Grenzen dienten.“ atomar bestückbare ISKANDER-Raketen mit einer Reichweite von 400 bis
Dies wird von der NATO sorgfältig beobachtet, vor allem in Europa, denn 600 km bei Kaliningrad stationiert). Doch ein Vergleich zum Kalten Krieg
die Verbreitung ballistischer Waffen, nicht nur in den o.g. Staaten, sondern drängt sich heutzutage geradezu wieder auf. Das Verhältnis zwischen
auch durch russische Aufrüstung an westlichen Grenzen und durch z.B. Russland und dem Westen hat sich so sehr zugespitzt, dass es fast schon
Syrien, fordert die Aufmerksamkeit der NATO-Mitglieder. beunruhigend ist.
Raketenabwehr funktioniert wie folgt: Strategisch positionierte, teils Zieht man Russland ab, bleiben als potenzielle Aggressoren der Iran,
mobile boden-, see- oder satellitengestützte Radareinheiten suchen Syrien, Terroristen und mit Einschränkungen Nordkorea übrig.
systematisch den Himmel und/oder die Atmosphäre nach feindlichen Nordkorea hat zuletzt mit Berichten über vermeintlich erfolgreiche
Flugkörpern (Raketen und Artilleriegeschosse, bemannte und unbemann- Raketentests auf sich aufmerksam gemacht; Syrien hat noch einen
te Flugobjekte) ab. Auf der Basis der radargestützten Daten wird dann Restbestand von etwa 400 Kurzstreckenraketen, die sich in wessen
deren Flugbahn berechnet und die Abschussrampe für Abfangraketen in Händen auch immer befinden. Die Angst vor Terroristen ist allgegen-
Stellung gebracht. Läuft alles nach Plan, neutralisieren die Abfangraketen, wärtig (hier spielt Raketenabwehr eine sehr untergeordnete Rolle) und
wovon ein Abschuss ohne Weiteres einige tausende Euro/Dollar kosten Iran testet trotz Atomabkommen weiter vor sich hin, was eigentlich eine
kann, die feindliche Rakete, bevor sie auf dem Boden Schaden anrich- Neubewertung der Lage zur Folge habe müsste.
tet. Eine hochkomplizierte Technik mit sehr vielen, teils unberechenbaren Kein sehr schönes Bild!
Variablen, aber wie man am Beispiel des Israelischen IRON DOME’s gese- Abschließend zu EPAA ist zu sagen, dass der aktuelle US-Beitrag zur
hen hat, funktioniert diese zu 90%, nach Angaben der israelischen Armee. EPAA herabgesetzt wurde. Weitere Komponenten sind das allianzweite
Kollateralschäden werden bspw. durch moderne Raketen verhindert, die Kommando- und Kontrollnetz sowie die Investitionen einzelner Nationen.
mit Sprengköpfen bestückt werden, und sich bei Aktivierung in mehrere Die Slowakei und Belgien planen, ihre Luftabwehrsysteme zu erwei-
Teile spalten. Gelingt es nicht, eine anfliegende Rakete abzufangen, gibt tern. Polen und Deutschland haben kürzlich angekündigt PATRIOT oder
es in der Regel keinen zweiten Versuch. Die Zukunft der Raketen abwehr- MEADS zu erwerben.
systeme für Europa findet an den AEGIS Ashore-Standorten statt. Die
NATO hat die Luftverteidigung als Kernbündnismission im Jahr 2010 ange-
nommen, wobei die AEGIS Ashore- und AEGIS-Schiffe den Hauptbeitrag
der USA leisten. Die Obama-Regierung stärkte ihre Raketenabwehr-
Bemühungen in „European Phased Adaptive Approach“ (EPAA: SM-3-
Abfangraketen auf AEGIS-Schiffen und an Land in Rumänien und Polen).
EPAA wurde von der Obama-Regierung eingeleitet, um die USA und ihre
europäischen Alliierten und Partner vor einem ballistischen Angriff mit
Kurz- und Mittelstreckenraketen zu schützen.
Ein europäischer „Phasenanpassungsansatz“
Im Mai 2016 wurden zwei wichtige Meilensteine bei der Einführung vom
EPAA erreicht:
Am 12. Mai 2016 wurde die EPAA Phase II in Deveselu, Rumänien ein-
geweiht mit der AEGIS Ashore Raketenabwehrstation mit gleich zeitiger
operativer Zertifizierung. Am darauffolgenden Tag erfolgte der erste