Page 60 - Wehrtechnik 01/2017
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            Nachtsichtbrillen bei sich, u.a. da es in der Winterzeit nur vier Stunden   keine Chance. Ein Angriff auf eine der Maschinen würde aber auch einen
            Licht im Durchschnitt gibt und viele Einsätze bei Nacht stattfinden.   Angriff auf die gesamte NATO nach Artikel 5 bedeuten!
            Normalerweise gehen im Rahmen QRA immer zwei Maschinen raus, aber   Das deutsche Kontingent übernimmt die Rolle jeweils für vier Monate,
            auch eine Konfiguration mit einer Maschine oder vier ist denkbar, immer   jedoch wird eine Personalrotation alle vier bis sechs Wochen vollzogen,
            situationsabhängig. Eine visuelle Identifizierung ist dann notwendig, wenn   nur Schlüsselpersonal bleibt länger.
            sich eine Maschine entlang des NATO-Luftraumes bewegt, die mindes-
            tens eine der drei Anforderungen nicht erfüllt: Eingereichter Flugplan, ein-  Einsatzbereitschaft
            geschalteter Transponder und Kommunikation mit der Flugsicherung. Seit
            Beginn des Kontingents am 1. September hat die Luftwaffe viele Starts   Das  Brot-  und-Buttergeschäft  bei  diesem  Einsatz ist  die  dauerhafte
            absolvieren können, die meisten jedoch als Trainingseinheiten. Zwischen   Bereitstellung von mindestens zwei Maschinen in der Rolle QRA (I). Dazu
            September und Mitte Dezember sollen laut unbestätigter Quellen aber   wird eine 24-Stundenschicht QRA gefahren, die restlichen Soldaten wer-
            auch rd. 28 reale A-SRAMBLE durchgeführt worden sein. Anders als   den in einer normalen Tagschicht eingesetzt. Rund 80 Soldaten im Bereich
            z.B. noch 2014 werden derzeit vor allem Transport- (z.B. Antonov AN-26   Wartung sorgen für die Einsatzbereitschaft der EUROFIGHTER. Der verant-
            CURL) und Aufklärungsmaschinen (z.B. IL-29 COOT) abgefangen, wenig   wortliche Stabsoffizier vor Ort sagt, dass der Personaleinsatz im Bereich
            Kampfflugzeuge. Ein regelmäßiger „Kunde“ sei auch die Tupolew Tu-134   Wartung nicht höher ist, als der in der Heimatbasis. Allerdings soll die
            CRUSTY, seltener eine Suchoi Su-34 FULLBACK oder Su-27 FLANKER.   Arbeitsbelastung der Soldaten höher sein, d.h. sie sind länger im Dienst,
            Diese sind manchmal aber dann auch bewaffnet, manchmal aber auch   da die Einsatzbereitschaft der Flugzeuge eben nicht bis zum nächsten Tag
            nicht. Vergessen dabei werden darf nicht, dass die russische Seite von   warten kann. Auch da das Geschwader nicht als Unterstützung vor Ort im
            Kaliningrad aus eine QRA für ihren dortigen Luftraum betreibt. Auch gibt es   Notfall bereit steht. Ersatzteile müssen dann erst eingeflogen werden. Das
            derzeit keine größeren Formationen mehr. Fast alle dieser abgefan genen   vorhandene erweiterte Ersatzteilpaket soll jeweils für einen Monat reichen
            Flüge finden im internationalen Luftraum als Transitflug zwischen dem   und wurde aufgrund der Erfahrungen in den letzten Einsätzen zusammen-
            Festland Russlands und der Enklave Kaliningrad statt. Damit sind sie völ-  gestellt. In der Regel werden die Teile in drei bis vier Tagen per TRANSALL
            lig legal, oft fehlt nur eine der drei Anforderungen (Flugplan, Transponder,   eingeflogen. Ist die Einsatzbereitschaft jedoch gefährdet, kann dies auch
            Kommunikation).  Kontingentführer  Oberstleutnant  Johannes  Durland   in 12 bis 24 Stunden erfolgen. Unterstützt werden die Soldaten vor Ort
            stellte gleichfalls heraus, dass seine Piloten nicht von gefährlichen oder   und im Rahmen der Field Service Repair (FSR) Unterstützung durch einen
            aggressiven Flugmanövern der russischen Piloten berichten. So hätte es   Airbus-Mitarbeiter im Bereich Avionik.
            bisher keine Verletzungen des estnischen Luftraumes gegeben. Insgesamt   Der Aufwand scheint sich jedoch auszuzahlen, im Durchschnitt sind vier
            hörten sich die deutschen Schilderungen eher entspannt und nach   Maschinen (von den fünf) verfügbar, das bedeutet eine Einsatzbereitschaft
            Tagesgeschäft an, eine erhöhte Aktivität, trotz des politischen Winters,   von 90%. Ein sehr hoher Wert, aller Kritik am Luftfahrzeug zum Trotz.
            scheint es derzeit nicht zu geben. Dies mag auch daran liegen, dass viele   Die Piloten zeigen sich von der Leistungsfähigkeit der Maschine über-
            Kampfflugzeuge im Einsatz in Syrien gebunden sind.    zeugt. Der EUROFIGHTER soll zudem sehr einfach zu fliegen sein, seine
              Erwartungsgemäß anders bewertet dies Oberstleutnant Ülar Lõhmus,   Rechner nehmen dem Piloten eine große Arbeitslast ab, die Maschine fliegt
            er ist der Kommandeur der Ämari Base. Er berichtet von bisher 181   sich praktisch von selbst, z.B. dank der Auto-Trimmung. Dadurch kann der
            Sicherheitsvorfällen in 2016 (2015: 293) und elf Grenzverletzungen (2015:   Pilot sich auf seine eigentliche Aufgabe, den taktischen Einsatz und das
            3, bzw. 2 im Durchschnitt der letzten Jahre).         Kämpfen konzentrieren. Die Kraft der beiden Eurojet EJ200 Triebwerke ist
              Bei jedem Start ist neben den Piloten auch die militärische   so groß, dass der EUROFIGHTER die meisten anderen NATO-Maschinen
            Flugverkehrskontrolle gefordert. Sie steht in ständiger Verbindung zur   und Gegner einfach ausmanövrieren bzw. davon fliegen und steigen kann.
            zivilen Flugverkehrskontrolle am Flughafen Tallinn – dieser ist nur weni-  Die Triebwerke können vor Ort nicht repariert werden, sie müssen ggf. aus-
            ge Kilometer entfernt – um dafür zu sorgen, dass bei einem Alarmstart   gebaut und zur Industrieinstandsetzung zu MTU Aero abgegeben werden.
            der  Weg  für  die  EUROFIGHTER  frei  ist  und  es  keine  gefährlichen   Das Lagebild kann über Link 16 empfangen werden, so muss das eige-
            Situationen mit Zivilmaschinen gibt. Es darf nicht vergessen werden, die   ne Radar nicht angeschaltet werden.
            EUROFIGHTER starten mit Nachbrenner und haben bereits nach zwei
            Minuten die Einsatzhöhe. Sie können bis max. zwei Stunden in der Luft   Ämari AFB
            bleiben, die meisten Flüge dauern rund 1 Stunde 15 Minuten.
              Ganz klar sind die NATO-Vorgaben: Defensiv und Deeskalation! So   Die Ämari Luftwaffenbasis ist nur ein kleiner Flugplatz, der mittlerweile
            sollen sich die NATO-Kräfte frühzeitig zu erkennen geben und fliegen im-  aber modern ausgestattet ist. 1997 wurde der Platz durch die estnische
            mer mit eingeschaltetem Transponder und oft keinem eigenem oder nur   Luftwaffe reaktiviert und seitdem von Grund auf modernisiert bzw. neu
            schwachem Radar. Taktische Manöver werden durch das CAOC ange-  aufgebaut. Die QRA- und Wartungshangars liegen alle dicht beieinander
            ordnet. Außerdem gibt es die Einschränkung, dass nicht alle taktischen   und nahe an der 2.750 m langen Start- und Landebahn, so sind die 15
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            Verfahren und das komplette Flugprofil gezeigt/durchgeführt werden   Minuten Rufbereitschaft kein Problem. Die QRA-Hangars (2.140 m ) sind
            sollen. Damit soll der Gegner auch nicht alle Fähigkeiten des eigenen   beheizt, so dass auch der härteste Winter den Maschinen kein Problem
            Luftfahrzeuges kennen lernen. Daher wenden die Piloten nur die Standards   bereitet. Allerdings musste die Luftwaffe hier schon ihre Erfahrungen eines
            in der Abfangrolle an. Und klar dürfte auch sein: Vier QRA-Maschinen hät-  Einsatzes bei heftigem Schnee sammeln, die EUROFIGHTER ließen sich
            ten gegen ein geplantes und größeres offensives Vorgehen des Gegners   nach Aussage der Piloten davon nicht beeindrucken. An beiden Enden der
                                                                  Start- und Landebahn ist eine Atech Barrier Arresting Kit (BAK-12) Not-
                                                                  Fanganlage vorhanden. Hinzu kommen eine hervorragend ausgestattet
                                                                  Feuerwehr, Enteisungskapazitäten, zur Navigation stehen ILS, VORTAC,
                                                                  NDB, PAR zur Verfügung.
                                                                    Seit einiger Zeit ist ein neuer Passagierterminal (nach Schengen zer-
                                                                  tifiziert) hinzugekommen, dieser kann bis zu 2.000 Passagiere (PAX) ab-
                                                                  fertigen, z.B. beim Kontingentwechsel oder bei Ein-/Ausschleusung von
                                                                  Bodentruppen für größere NATO-Übungen in der Region.
                                                                    Die estnische Luftwaffe umfasst rd. 420+ Soldaten und hat ein Jahres-
                                                                  budget von € 16 Mio. (2015). Die Hauptaufgabe ist die Luftverteidigung,
                                                                  diese wird mit zwei Thales GROUNDMASTER GM-403 Radaren, einem
                                                                  Lockheed  Martin  AN/TPS-77,  einem  Flughafen-Überwachungs-Radar
                                                                  (Airport Surveillance Radar/ASR) ASR-8 (in Ämari) und einem passiven
                                                                  VERA-E Radar von ERA sichergestellt.
                                                                    Die Ausstattung der estnischen Luftwaffe mit Luftfahrzeugen und deren
                                                                  Leistungsfähigkeit ist eher überschaubar: Vier Hubschrauber Robinson
                                                                  R-44 (572 Flugstunden in 2016), zwei L-39 ALBATROS sowie zwei An-2
                                                                  (125 Flugstunden). Die An-2 soll 2017 außer Dienst gestellt werden, so-
                                                                  fern eine Nachfolge gesichert wäre. Im Raum stehen zwei PZL Mielec
                                                                  C-145A (M-28) aus US-Beständen, die Finanzierung ist jedoch noch nicht
            Start einer QRA in Ämari,                             gesichert.
            dieses Bild stammt jedoch von einem Vorgängerkontingent.  Laut Oberstleutnant Ülar Lõhmus ist daher der Auftrag seiner
            (Foto: Archiv)                                        Luftwaffe vor allem die Luftverteidigung durch die Unterstützung der 24/7
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