Page 103 - Wehrtechnik 03/2017
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            genommen, den jeweiligen vergaberechtlichen Schwellenwerte nicht über-  allesamt restriktiv und äußerst zurückhaltend auszulegen. Eine derartige
            steigen und der Wert der Änderung bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen   vergaberechtsfreie Nachtragsbeauftragung darf zudem den Wert des ur-
            darf zudem nicht mehr als 10%, bei Bauaufträgen nicht mehr als 15% des   sprünglichen Vertrages um nicht mehr als 50% erhöhen.
            ursprünglichen Auftragswertes betragen. Beide Voraussetzungen müs-
            sen dabei kumulativ vorliegen. Zudem ist bei mehreren aufeinander fol-
            genden Änderungen der Gesamtwert aller Änderungen maßgeblich, nicht   Beauftragungen in Folge unvorhersehbarer Umstände
            also jede Änderung isoliert betrachtet. Bei Aufträgen, die gerade über den
            betreffenden Schwellenwerten liegen, im Bereich der Vergabeverordnung   Zudem sind vertragliche Änderungen möglich, die aufgrund von
            Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) mithin  € 418.000 für Liefer- und   Umständen  erforderlich  werden,  die  der  öffentliche  Auftraggeber  im
            Dienstleistungsaufträge sowie € 5,225 Mio. für Bauaufträge, beträgt die   Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte. Auch in diesem
            Bagatellschwelle der vertraglichen  Änderungen  daher  bei Liefer-  und   Fall darf sich der Gesamtcharakter des Auftrages jedoch nicht verändern.
            Dienstleistungsaufträge  € 41.800 und bei Bauaufträgen  € 783.750.   Es gilt zudem die gleiche Auftragswertgrenze wie bei der Beauftragung
            Abhängig vom Auftragswert steigen diese Beträge bis zum Erreichen der   zusätzlicher Leistungen.
            Schwellenwerte an.
              Nur weil die Bagatellschwelle nicht erreicht wird oder der Auftragswert
            sogar massiv verringert wird, bedeutet dies jedoch noch nicht, dass keine   Bekanntmachungspflicht der Vertragsanpassung
            wesentliche Änderung vorliegt. Denn in einem solchen Fall, kann nach wie
            vor eine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags eintreten, der zu   Zusatzaufträge sowie Beauftragungen in Folge unvorhersehbarer
            einer Neuausschreibungspflicht führt.                 Umstände müssen regelmäßig im Amtsblatt der Europäischen Union be-
                                                                  kannt gemacht werden. In der Bekanntmachung ist der Auftrag vor und
                                                                  nach der Änderung zu beschreiben, die Art und der Umfang der Dienst-,
            Vertragliche Anpassungsklauseln sind möglich          Liefer- bzw. Bauleistungen und ebenso etwaige Preisanpassungen an-
                                                                  zugeben.  Außerdem  müssen  die  nachträglichen  und  unvorhersehba-
              Einer der wohl häufigsten Fälle einer zulässigen vertraglichen   ren Umstände beschrieben werden, die die Änderung erforderlich ge-
            Anpassung dürfte das Ausüben von vertraglichen Options- und/  macht haben. Die Bekanntmachungserfordernis soll dabei anderen
            oder Anpassungsklauseln sein. Dies ist u.a. bei Bedarfspositionen im   Marktteilnehmern die Möglichkeit eröffnen, die Beauftragung zusätzlicher
            Bauvertrag, bei Preisanpassungsklauseln oder auch im Falle der klassi-  Leistungen und die Beauftragungen in Folge unvorhersehbarer Umstände
            schen Vertragsverlängerungsoption geübte Praxis. Jedoch kann auch   gerichtlich überprüfen zu lassen.
            hier die neue gesetzliche Regelung zu einer rechtlichen Verschärfung
            führen. Insbesondere darf sich aufgrund der Ausübung der vertraglichen
            Änderungsklausel der Gesamtcharakter des Auftrags wiederum nicht än-  Unwirksamkeit von wesentlichen
            dern. Zudem ist eine Vertragsänderung nur dann ohne Neuausschreibung   Vertragsänderungen
            zulässig, wenn die Optionsklausel bereits in den ursprünglichen
            Vergabeunterlagen enthalten war, die Bieter des zugrundeliegenden   Grundsätzlich ist ein Auftrag, der ohne die eigentlich notwendige
            Vergabeverfahrens diese Option daher bereits in ihrer Angebotskalkulation   Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens direkt vergeben wird,
            berücksichtigen konnten. Die vertragliche Regelung muss zudem klar,   von Anfang an unwirksam. Liegen die vorgenannten Ausnahmen jedoch
            genau und eindeutig formuliert sein und dabei Angaben zu Art, Umfang   nicht vor, besteht in Folge der dann wesentlichen Vertragsänderung eine
            und Voraussetzungen möglicher Auftragsänderungen enthalten. Kommt   Neuausschreibungspflicht der Leistung. Wird die wesentliche Änderung
            es während der Vertragslaufzeit in Folge der Ausübung einer sol-  ohne die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens durchgeführt, wäre
            chen Vertragsklausel zum Streit, so kann die Nachprüfungsinstanz die   daher auch dieser geänderte Auftrag unwirksam. Dies kann z.B. dann der
            Vertragsklausel an diesem gesetzlichen Maßstab messen und überprüfen.  Fall sein, wenn der Zusatzauftrag doch vom Hauptauftrag trennbar ist
                                                                  oder die notwendigen Änderungen bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt
                                                                  doch vorhersehbar gewesen wären.
            Wechsel des Auftragnehmers                              Diese Unwirksamkeit des Vertrages muss jedoch erst in einem
                                                                  Nachprüfungsverfahren festgestellt werden. Ein solches Nach prüfungs-
              Ebenfalls in der Praxis nicht selten anzutreffen ist der Fall, dass ein   verfahren kann dabei recht einfach durch einen anderen Marktteilnehmer
            neuer Auftragnehmer den bisherigen Auftragnehmer ersetzen soll. Da   bei der zuständigen Vergabekammer eingeleitet werden. Hierbei ist je-
            es  sich  bei  der  Person  des  Auftragnehmers  um  eine  der  wesentlichen   doch eine gewisse Eile geboten. So haben konkurrierende Unternehmen
            Vertragsbestandteile handelt, war die Möglichkeit eines zulässigen   30 Kalendertage nach der Bekanntmachung der Vertragsänderung im
            Austausches des zivilen Vertragspartners eines öffentlichen Auftraggebers   EU-Amtsblatt Zeit, in einem Nachprüfungsverfahren die Unwirksamkeit
            lange umstritten. Nunmehr ist ein solcher Ersatz möglich, wenn entweder   des Vertrages feststellen zu lassen. Wird die Änderung gar nicht erst
            eine entsprechende Vertragsgrundlage bereits besteht oder der Austausch   im Amtsblatt bekannt gegeben, so beträgt die Frist zur Einreichung des
            aufgrund der Tatsache erfolgt, dass ein anderes Unternehmen im Zuge   Nachprüfungsantrages sechs Monate ab Vertragsschluss.
            einer Unternehmensumstrukturierung, wie z.B. durch Übernahme,   Im Zweifel kann die festgestellte Unwirksamkeit den gesamten Vertrag
            Zusammenschluss, Erwerb oder Insolvenz, ganz oder teilweise an die   betreffen, somit auch den ursprünglich im Rahmen eines förmlichen
            Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers tritt. Entscheidend ist dabei   Vergabeverfahrens beauftragten Teil des Auftrages. Dies dürfte immer dann
            jedoch, dass auch der neue Auftragnehmer die ursprünglich im Rahmen   der Fall sein, wenn die geänderte Leistung nicht von der Hauptleistung zu
            des Vergabeverfahrens festgelegten und vom Auftraggeber geprüften   trennen ist.
            Anforderungen an die Eignung ebenfalls erfüllt. Das OLG München ent-  Nicht unbeachtlich könnte in der Praxis auch das neu eingeführte ge-
            schied diesbezüglich kürzlich (Beschluss vom 21.04.2017, Verg 2 / 17),   setzliche Kündigungsrecht zugunsten des öffentlichen Auftraggebers sein.
            dass die Eignungskriterien auch nicht nachträglich geändert werden   Nach § 133 Abs. 1 Nr. 1 GWB können diese einen öffentlichen Auftrag
            dürfen, um dem neuen Auftragnehmer gerecht zu werden.  während der Vertragslaufzeit kündigen, wenn eine wesentliche Änderung
                                                                  vorgenommen wurde, die nach § 132 GWB ein neues Vergabeverfahren
            Beauftragung zusätzlicher Leistungen                  erfordert hätte. Wird ein öffentlicher Auftrag nach dieser Vorschrift
                                                                  gekündigt, kann der Auftragnehmer zunächst nur einen Teil der Vergütung
              Sogar die Beauftragung zusätzlicher, d.h. nicht in der ursprüngli-  verlangen. Ansprüche auf Schadenersatz regelt das GWB hierzu nicht, so-
            chen  Vergabe  vorgesehener  Leistungen,  kann  unter  Umständen  ohne   dass die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen zum Tragen kämen.
            Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig sein. Dies gilt je-  Gerade die vorgenannten Risiken der Feststellung der Unwirksamkeit
            doch nur dann, wenn die zusätzlichen Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen   des gesamten Vertrages und des neuen gesetzlichen Kündigungsrechts,
            nach  Abschluss  des  Vergabeverfahrens  erforderlich  werden  und  ein   zu dessen Ausübung ein öffentlicher Auftraggeber auch durch seine
            Wechsel des Auftragnehmers aus wirtschaftlichen oder technischen   Rechtsaufsicht veranlasst werden kann, zeigen, dass alle Vertragsparteien
            Gründen nicht erfolgen kann und mit erheblichen Schwierigkeiten oder   eines ausschreibungspflichtigen Vertrages vor Abschluss jeglicher
            beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber verbun-  Anpassungen, diese ausführlich am neuen gesetzlichen Maßstab des
            den wäre. Als Ausnahmevorschrift sind die Tatbestandsmerkmale dabei   § 132 GWB messen sollten, um ungewollte Folgen zu vermeiden.
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