Page 102 - Wehrtechnik 03/2017
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            Martin Conrads

            Möglichkeiten der Vertragsanpassungen

            während der Vertragslaufzeit –

            mit Vertragsschluss ist vergaberechtlich


            noch lange nicht Schluss



              Am Ende eines förmlichen Vergabeverfahrens steht der Vertragsschluss   Nach Abschluss des Vergabeverfahrens ist dabei vor allem für den öffent-
            in Form der Zuschlagserteilung. In vielen Fällen, insbesondere wenn es   lichen Auftraggeber die Frage der Möglichkeiten zur Vertragsanpassung
            zuvor zu Rügen und einem gerichtlichen Nachprüfungsverfahren gekom-  von größter Wichtigkeit. Um auf geänderte Lagebilder reagieren zu
            men ist, ist dies der Zeitpunkt für ein kurzes Aufatmen und gegenseitige   können, kann es gerade nach Durchführung eines längeren förmlichen
            Glückwünsche. Doch die eigentlich ausgeschriebene Leistungserbringung   Vergabeverfahrens notwendig werden, die ausgeschriebene Leistung den
            steht erst noch bevor. Wie die sicherheitspolitischen Entwicklungen   geänderten  Umständen  anzupassen,  den  Leistungszeitraum  zu  verkür-
            der letzten Jahre zeigen, kann es insbesondere im Sicherheits- und   zen oder zu verlängern, Preise zu verändern, Leistungserbringer auszu-
            Verteidigungsbereich durch kurz- und mittelfristige Lageänderungen zur   tauschen oder anderweitige vertragliche Modifikationen vorzunehmen.
            Notwendigkeit der Anpassung von ausschreibungspflichtigen Verträgen   Aber auch für den zivilen Auftragnehmer ist es entscheidend zu wissen,
            kommen. Zivilrechtlich steht es den Vertragsparteien stets frei, den ge-  in wieweit ein vertragliche Änderung noch zulässig ist ohne das Risiko
            schlossenen  Vertrag  durch  übereinstimmende  Willenserklärungen  nach   einzugehen, dass der geänderte Vertrag z.B. durch einen Konkurrenten
            Belieben zu verändern. Änderungen ausschreibungspflichtiger Verträge   erfolgreich angegriffen werden könnte.
            sind dabei jedoch nur in einem bestimmten Rahmen zulässig. Wird dieser   Die damit verbundenen rechtlichen Fragen hatten bis zur Ver gabe-
            Rahmen überschritten, muss die gesamte Leistung neu im Wettbewerb   rechtsmodernisierung im vergangenen Jahr keine gesetzliche Rege    lung und
            vergeben werden. Auf Grund des seit 18. April 2016 diesbezüglich gelten-  waren Gegenstand einer langjährigen europäischen und nationalen verga-
            den „neuen“ Vergaberechtes soll nachfolgend der Rahmen für vergabe-  begerichtlichen Entscheidungspraxis. Diese Recht sprechung fand Einzug
            rechtlich zulässige Vertragsanpassungen kurz umrissen werden.  in die europäischen Vergaberichtlinien aus dem Jahr 2014, welche nun-
              Vor dem Hintergrund aktueller Großprojekte wird vielfach die An-  mehr im neuen § 132 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen)
            wendbarkeit der europäischen und nationalen vergaberechtlichen   in deutsches Recht.
            Bestimmungen auf Beschaffungsvorhaben im Sicherheits- und Verteidi-
            gungsbereich zugunsten nationaler Wirtschaftsinteressen in Frage ge-
            stellt.  Dabei  wird  vielfach  übersehen,  dass  die  Beschaffungsstellen  im  Grundsatz:
            Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), im   wesentliche Änderungen sind auszuschreiben
            Wesentlichen das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und
            Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), das Bundesamt für Infrastruktur,   Die neue gesetzliche Regelung geht von dem Grundsatz aus, dass we-
            Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw), das   sentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Ver trags-
            Marinearsenal und das Verpflegungsamt der Bundeswehr seit Jahren   laufzeit grundsätzlich ein neues Vergabeverfahren erforderlich   machen.
            auch fernab der wehrtechnischen Großprojekte Bau-, Beratungs- und   Wesentlich ist eine Änderung, wenn sie dazu führen würde, dass sich der
            Lieferleistungen erfolgreich förmlich ausschreiben. Diese Ausschreibungen   öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentli-
            umfassen dabei u.a. Leistungen, die von der Beschaffung von Batterien,   chen Auftrag unterscheidet. Dies soll insbesondere dann vorliegen, wenn:
            Sonnenschutzmittel, Arzneimitteln, Büroregalen, Heimtextilien, Lampen   •  mit der Vertragsänderung Bedingungen eingeführt werden, die bei
            und Leuchten, Fitnessgeräten, Küchenbedarf und Molkereierzeugnissen   Geltung bereits in der zugrundeliegenden Ausschreibung die Zulassung
            über komplexe IT-Beratungsleistungen zu Tankfahrzeugen, Lagerbehältern,   anderer Unternehmen zum Verfahren gestattet, die Annahme eines an-
            Notstromversorgungsaggregaten und der Reparatur, Wartung und   deren Angebots ermöglicht, oder das Interesse weiterer Unternehmen
            Instandsetzung  von  Kriegsschiffen  sowie  deren  Neubau reicht.  Für all   am Vergabeverfahren geweckt hätten,
            diese Leistungen herrscht ein nationaler und internationaler Wettbewerb   •  das wirtschaftliche Gleichgewicht zugunsten des Auftragnehmers in
            um die Auftragsvergabe, dem das Vergaberecht einen verbindlichen recht-  einer Weise verschoben wird, die im ursprünglichen Auftrag so nicht
            lichen Rahmen gibt.                                     vorgesehen war oder
                                                                  •  der Umfang des ursprünglichen Auftrages wesentlich ausgeweitet wird.
                                                                    Wesentlich kann dabei auch bereits der Austausch eines bestimmten,
                                                                  für die Leistung entscheidenden Nachunternehmers sein (Vergabekammer
                                                                  Bund, Beschluss vom 20.09.2016, VK 2 - 85 / 16). Auch eine Verringerung
                                                                  des Auftragsgegenstands und damit des Auftragswertes kann eine we-
                                                                  sentliche Auftragsänderung bedeuten, da der Auftrag hierdurch für eine
                                                                  größere Zahl von Wirtschaftsteilnehmern durchführbar gewesen wäre
                                                                  (EuGH, Urteil vom 07.09.2016 - Rs. C-549/14).
                                                                    Eine in dem vorgenannten Sinne wesentliche Änderung darf daher
                                                                  nicht einfach mit dem Vertragspartner vereinbart werden. Die gesetzlichen
                                                                  Bestimmungen sehen jedoch differenzierte Ausnahmen vor, bei deren tat-
                                                                  bestandlicher Vorlage keine wesentliche Änderung vorliegen soll.

                                                                  Neuvergabe erst bei Überschreiten
                                                                  eine bestimmten Bagatellschwelle

            Martin Conrads ist Counsel und Rechtsanwalt der internationalen   So kann eine Änderung bereits nicht wesentlich sein, wenn sich der
            Wirtschaftsrechtskanzlei Bird & Bird LLP in Hamburg und gehört der   Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und eine  bestimmte Wertgrenze
            Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht an.        nicht überschritten wird. Dabei darf der Wert der Änderung für sich alleine
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