Page 6 - Wehrtechnik 02/2017
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Dr. Karl-Heinz Kamp
ist der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.
Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
allemal, würde es doch einen Anstieg des Budgets von Ministerin von der
Leyen von € 37 Mrd. auf über € 60 Mrd. bedeuten. So viel Geld könne die
Bundeswehr auch gar nicht schnell genug ausgeben, weil Rüstungsprojekte
viele Jahre von der Planung bis zu Beschaffung bräuchten. Und über-
haupt, so heißt es, könne man militärische Leistungsfähigkeit mit der-
artigen Prozentzahlen ohnehin nicht messen – also vergisst man sie am
besten gleich ganz.
Keiner dieser Einwände ist stichhaltig. Zugegeben, der Umstand, dass
Griechenland zu den wenigen NATO-Ländern gehört, die die 2% Hürde
locker überschreiten, lässt an deren Sinn zweifeln. Auch hat Deutschland
das Problem, dass trotz steigender Rüstungsausgaben der Prozentwert
sinkt – schlicht, weil die gute Wirtschaftslage das BIP ständig in die
Höhe treibt. Die 2% sind aber nun einmal das Ziel, das sich alle NATO
Staaten schon vor vielen Jahren in die Hand versprochen haben. Man
kann es weiter ignorieren, darf sich dann aber nicht wundern, wenn die
Führungsmacht USA es nicht mehr bei Klagen belässt, sondern droht, die
jahrzehntelange Subvention europäischer Sicherheit zu kürzen.
Auch braucht die Bundeswehr dringend mehr Geld, unabhängig
davon, wer im Weißen Haus regiert. Seit Jahren leben die Streitkräfte von
Beständen der Vergangenheit – und das bei immer mehr und vielfältigeren
Einsätzen im Ausland. Seit Russlands Aggression in Osteuropa ist auch
noch die Landes- und Bündnisverteidigung als neue Priorität hinzugekom-
men. Es fehlt nicht mehr nur an Waffen und Munition, sondern mittler-
weile auch an Basisausrüstung wie Funkgeräte oder Transportfahrzeuge.
Alle Schlagzeilen von flugunfähigen Hubschraubern und angemalten
Besenstilen zur Simulation von Bordwaffenanlagen des gepanzerten
Gefechtsfahrzeugs BOXER haben ihre Ursache in der Unterfinanzierung.
Der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt das jedes Jahr aufs Neue: Wenn
in einer Einheit von 522 geplanten Nachtsichtbrillen nur 20 übrig geblieben
sind – und 17 davon defekt – so ist die Lage dramatisch.
Steigende Verteidigungsausgaben sollen also vor allem den Sub-
stanz verlust bei den Streitkräften auffangen und nicht einem vermeint-
lichen Diktat aus Washington entsprechen. Und an einer vermeintlichen
Aufrüstungsspirale wird erst recht nicht gedreht, weil es vor allem darum
geht, vorhandene Einheiten funktions- und einsatzfähig zu machen.
Steht mehr Geld zur Verfügung, kann es sehr wohl sinnvoll ausgege-
Verteidigungsausgaben ben werden. Schon vor einem Jahr forderte die Verteidigungsministerin
€ 130 Mrd. für militärische Ausrüstung über einen Zeitraum von 15
sind kein Jahren. Dieser Betrag war keine fiktive Summe, sondern ist mit konkret-
en Projekten hinterlegt – von den schon erwähnten Nachtsichtgeräten bis
hin zu Transportflugzeugen. Es trifft auch nicht zu, dass – wie gelegen-
Wahlkampfthema tlich kolportiert – ein hoher deutscher Verteidigungshaushalt politische
Ängste in London, Paris oder Warschau auslösen würde. Im Gegenteil –
Deutschlands Nachbarn begrüßen Deutschlands größeres internationales
Engagement und erkennen auch den dafür nötigen Finanzbedarf.
Neu ist das gegenseitige Versprechen der NATO-Mitglieder, mehr für die Der finanzielle Aufwuchs kann und muss nicht von heute auf morgen
gemeinsame Verteidigung auszugeben, wahrlich nicht. Schon 1977 einigte erfolgen. Die NATO hat sich auf das Jahr 2024 geeinigt, an dem das 2%
man sich auf das „3% Ziel“ – mindestens 3% des Bruttoinlandsprodukts Ziel erreicht sein soll. Gleichzeitig sollen 20% der Wehretats der Mitglieder
(BIP) sollten für die Streitkräfte ausgegeben werden. Nach dem Ende für Investitionen verwendet werden. Ein sich für Deutschland daraus
des Kalten Krieges wurde diese Richtgröße auf zwei Prozent reduziert. ergebender jährlicher Zuwachs von etwa € 3 Mrd. ist nicht unrealistisch
Ebenso alt wie das Selbstversprechen ist die Klage der USA darüber, dass – der Haushalt für Arbeit und Soziales ist in den letzten beiden Jahren
die meisten der europäischen Verbündeten sich nicht an ihre Zusagen jeweils um € 8 Mrd. gewachsen. Um nicht missverstanden zu werden:
halten und ihre Budgets weiter kürzen, statt zu erhöhen. Generationen Es geht nicht darum, unterschiedliche Haushaltstitel gegeneinander ab-
von amerikanischen Senatoren, Ministern oder Präsidenten haben den zuwägen. Stattdessen ist Deutschland in der glücklichen Lage, dass eine
Europäern ins Gewissen geredet – man erinnert sich noch lebhaft an gute Wirtschaftsentwicklung Mehrausgaben für die Belange der Sicherheit
die „Wutrede“ von Verteidigungsminister Robert Gates im Juni 2011 in (nicht nur der militärischen) erlaubt, ohne an anderer Stelle streichen zu
Brüssel. Gebracht hat es wenig, die europäischen Verteidigungshaushalte müssen.
wurden weiter zum Steinbruch für das Auffüllen anderer Haushaltslöcher. Wichtig wäre aber auch, dass die Verteidigungsausgaben vom sog.
Darum kann niemand ernsthaft überrascht sein, dass Präsident Jährlichkeitsprinzip befreit würden. Während das Verkehrsministerium
Donald Trump diesen Ball wieder aufnimmt und erneut – wenn auch mit den Straßenbau über mehrere Jahre finanzieren kann, muss der Verteidi-
deutlich mehr Härte – ins europäische Spielfeld zurück befördert: Entweder gungshaushalt bis zum Jahresende vollständig ausgegeben werden.
die Europäer erhöhen ihre Verteidigungsausgaben oder die USA über denken Andernfalls sind sehr aufwändige Verfahren zur Umverteilung von
ihre Bündnispflichten. Diesmal merkt Europa aber den Ernst der Situation Restmitteln erforderlich. Da sich militärische Großprojekte ebenfalls über
und gerade Deutschland schickt sich an, einen Verteidigungshaushalt an- viele Jahre erstrecken, wäre auch hier das Prinzip der Mehrjährigkeit er-
zupeilen, der seinen sicherheitspolitischen Notwendigkeiten entspricht. forderlich. So könnten die Planungsrisiken bei Großprojekten verringert
Gleichzeitig nähern sich aber die Bundestagswahlen und die Frage der und die verfügbaren Finanzmittel besser genutzt werden.
Verteidigungsausgaben droht im Parteienstreit zerrieben zu werden. Mit dieser Kombination aus mehr Geld und besserer Planbarkeit kann
Man dürfe sich von den USA nicht erpressen lassen und an der erreicht werden, was lange Jahre versäumt wurde – die Bundeswehr
„Aufrüstungsspirale“ drehen, heißt es in Wahlkampfreden. Unrealistisch wieder in Streitkräfte zu verwandeln, die den heutigen Aufgaben der
sei eine Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben auf 2% BIP Verteidigung und des Krisenmanagement gewachsen sind. wt