Page 31 - Wehrtechnik 01/2017
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Jochen Esser
10 Monate Kulturwandel
in der Bundeswehr
Seit 1. Januar 2016 gilt die Soldatenarbeitszeitverordnung (SAZV) für die
Bundeswehr. Da es für Soldatinnen und Soldaten in Deutschland bis zu
diesem Zeitpunkt noch nie eine gesetzliche Regelung ihrer Arbeitszeit ge-
geben hat, vollzieht sich mit der Einführung der SAZV ein sprichwörtlicher
Kulturwandel.
Der Autor ist Fregattenkapitän Jochen Esser, Referent bei BMVg FüSK III 1.
Dabei war die Umsetzung der „Europäischen Arbeitszeitrichtlinie“ vom
4. November 2003 (EU-AZR) längst überfällig. Mehr als zwölf Jahre lang
wurde die Anwendung der Richtlinie für die Bundeswehr angesichts der
besonderen Rahmenbedingungen in den Streitkräften nicht angewandt.
Nun gesellt sich aber auch Deutschland zu den anderen 15 Ländern
der Europäischen Union, die die EU-AZR in nationale Regelungen für
ihre Streitkräfte umgesetzt haben. Hierzu gehören z.B. unsere Nachbarn Der Umgang mit der Ressource Arbeitszeit wird künftig
in den Niederlanden, Österreich und Polen oder auch das (noch) der an Bedeutung gewinnen, sie ist nicht mehr unendlich verfügbar.
Europäischen Union angehörende Vereinigte Königreich Großbritannien. (Foto: AF)
Im internationalen Umfeld lässt sich durchaus festhalten, dass die an-
deren Länder durchweg gute Erfahrungen mit der nationalen Umsetzung
der Regelungen der EU-AZR gemacht haben. Als ein Beispiel seien hier hinlänglich ist. Es ist statthaft und auch gewollt, dass Zeiten hoher
die Niederlande genannt, die zum Zweck der Arbeitszeitreduzierung etwa Arbeitsintensität in Zeiten niedriger Arbeitsintensität ausgeglichen werden
die seegehenden Einheiten ihrer Marine im Heimathafen schon seit mehr sollen. Die bis zum 31. Dezember 2015 praktizierte Auftragsvergabe an die
als einem Jahrzehnt durch den Einsatz von Fernüberwachungssystemen und innerhalb der militärischen Organisationsbereiche muss sich allerdings
weitestgehend wachfrei betreiben. Auch arbeiten die in Stäben einge- noch an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Es ist abseh-
setzten Soldatinnen und Soldaten regelmäßig mindestens einen Tag bar, dass sich noch mehr an den Kernaufträgen orientiert werden muss.
in der Woche nicht am Büroarbeitsplatz, sondern in Form eines Home- Demgegenüber sollen finanzielle Anreize für übermäßige Arbeitsleistungen
Office-Tages von zu Hause aus. Die durch die EU-AZR vorgegebenen gerade nicht etabliert werden; vielmehr kommt es – und das ist der wahre
Rahmenbedingungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz werden derart Kern des angesprochenen Kulturwandels – von nun an darauf an, dass
sogar noch übertroffen. Mehrarbeit und überbordende besondere zeitliche Belastungen gar nicht
Bis zum 31. Dezember 2015 galt für Soldatinnen und Soldaten der erst entstehen und das bspw. bei Übungen oder für Sonderdienste für die
Bundeswehr eine im so genannten Dienstzeitausgleicherlass festgelegte Soldatinnen und Soldaten auch ein angemessener Freizeitausgleich mit
wöchentliche Rahmendienstzeit von 46 Stunden einschließlich Pausen. entsprechendem zeitlichem Vorlauf eingeplant wird.
Besondere zeitliche Belastungen waren, wenn diese wöchentliche Rahmen- Ob möglicherweise angefallene Mehrarbeit nach Abschluss des Vorha-
dienstzeit überschritten wurde, grundsätzlich durch Freistellung vom bens dann ausgezahlt werden kann, ggf. sogar muss, entscheidet der je-
Dienst auszugleichen, es sei denn, ein Ausgleich in Form von Freistellung weilige Vorgesetzte entsprechend seiner Arbeitszeitplanung individuell für
vom Dienst konnte nicht innerhalb von 12 Monaten gewährt werden. In die Betroffenen. Nur wenn die angefallene Mehrarbeit tatsächlich den en-
diesen Fällen konnten die zuständigen Vorgesetzten auch auf finanziel- gen Maßstäben der Auszahlfähigkeit genügt, wenn also ein Zeitausgleich
le Vergütung entscheiden, die nach der Soldatenvergütungsverordnung in Form von Dienstbefreiung innerhalb der nachfolgenden 12 Monate nicht
pauschal für Dienste über 12 bis 16 Stunden und über 16 bis 24 Stunden möglich war oder perspektivisch betrachtet nicht möglich sein wird, dann
ausbezahlt wurde. Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten kamen so kann auch eine Auszahlung von Mehrarbeit erfolgen. Um diese Folgen
bei hoher zeitlicher Beanspruchung in den Genuss eines zusätzlichen auch juristisch abzusichern, ist bereits die Anordnung von Mehrarbeit im
Einkommens, empfanden gerade den finanziellen Ausgleich als sehr at- Grundbetrieb an strenge Voraussetzungen geknüpft und überdies auch
traktiv und richteten ihre persönliche Lebensplanung daran aus. beteiligungspflichtig.
Höchstarbeitszeit 48 Stunden Auswirkungen
Mit dem nun eingetretenen Kulturwandel ging also für viele Betroffene Jetzt, nach zehn Monaten des „Wirkens“ dieser neuen Regelungen,
zunächst einher, dass sie zum Einen aufgrund der vorgegebenen Höchst- zeigen sich die ersten Auswirkungen in der Truppe. Man kann sicher-
arbeitszeit von durchschnittlich 48 Wochenstunden nicht mehr vollkom- lich vorweg nehmen, dass die SAZV in weiten Teilen der Bundeswehr
men uneingeschränkt für den Dienst zur Verfügung stehen, zum Anderen gut anwendbar ist. Dies gilt, wie schon angesprochen, insbesondere für
dass ein finanzieller Ausgleich von mehrgeleistetem Dienst an nunmehr Dienststellen, in denen die dort tätigen Soldatinnen und Soldaten schon
enge Voraussetzungen geknüpft ist. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die an bestehenden Dienstvereinbarungen der Beamtinnen und Beamten teil-
Soldatinnen und Soldaten sich bisweilen schmerzlich von den ihnen lieb genommen haben.
gewonnenen Zusatzeinkünften trennen mussten. In der Truppe allerdings, die jetzt die SAZV anwendet und sich damit
So entstand eine vielfach deutlich spürbare Inakzeptanz der gesetzli- auch erstmalig an Maßstäbe wie weit im Voraus geplante Arbeitszeiten
chen Arbeitszeitregelung bei Unterstellten und auch Vorgesetzten, für je- und Dienstbefreiung gewöhnen muss, bedarf es nun gerade der
den natürlich aus seiner Perspektive. Kreativität der Vorgesetzten, die neu geschaffenen Spielräume sachge-
Dabei darf man nicht übersehen, dass bereits vor der Einführung der recht im Spannungsfeld von Arbeits- und Gesundheitsschutz und der
SAZV zahlreiche Soldatinnen und Soldaten in Stabs- und Ämterstrukturen Erfüllung der Aufträge, unter Berücksichtigung der Sicherstellung der
tätig waren, die über so genannte Teilhabebefehle weitestgehend bereits Einsatzbereitschaft, zu nutzen.
an der Arbeitszeitregelung für Beamtinnen und Beamten des Bundes Aufgrund der selbst gesetzten zeitlichen Vorgaben zum Inkrafttreten der
partizipierten. Da die Regelungen im sogenannten Grundbetrieb für SAZV, die auf Grundlage eines Bundesverwaltungsgerichtsurteils recht
Soldatinnen und Soldaten im Vergleich zu Beamtinnen und Beamten, kurzfristig ausfielen, musste die SAZV von allen Beteiligten unter hohem
für die die europäische Arbeitszeitrichtlinie bereits seit Jahren gilt, im Zeitdruck gestaltet und auf den Weg gebracht werden. Die SAZV allei-
Wesentlichen gleich sind, hat sich für einen Großteil der Betroffenen also ne wäre aber ohnehin nicht umsetzungsfähig gewesen. Viel mehr waren
nahezu nichts verändert. für deren Umsetzung weitere Vorschriften wie etwa die ent sprechenden
Die Arbeitszeitregelungen im Grundbetrieb dienen maßgeblich dem Durchführungsbestimmungen oder eine Soldaten mehr arbeitsvergü tungs-
Arbeits- und Gesundheitsschutz. Damit ist der Dienstbetrieb also so zu verordnung erforderlich, um nur die wichtigsten Vorschriften zu nennen.
gestalten, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden Je nach Dokumentenart mussten diese Pa piere auch beteiligungsrechtlich